Wenn der Bürger schlauer ist …

Mai 7, 2012

Es war ein Routine-Einsatz für einen normalen Spätdienst, so schien es zumindest. „Ich hab‘ ne Kaltverformung für euch“, sagte der Funksprecher des Lagezentrums. „Auf der Dorfstraße in Engelbostel. VW gegen Opel, keine Verletzten!“

Das einzig dumme an der Sache war, dass wir gerade am anderen Ende des Revierbereichs unterwegs waren. Aber das konnte der Funksprecher natürlich nicht wissen, denn so teure Technik, stellt uns das Land wegen knapper Kassen nicht zur Verfügung.

Trotzdem schafften wir es, in einer angemessenen Zeit am Unfallort anzukommen. Die beiden Fahrzeuge blockierten eine Fahrbahnseite, so dass mein Kollege und ich uns darauf einigten, dass er den Unfall aufnimmt, während ich die Verkehrsregelung übernahm. Inzwischen hatte sich auch schon einiges an Rückstau gebildet.

Kaum waren wir aus dem Streifenwagen ausgestiegen, kam uns auch schon ein älterer Herr entgegen und rief aufgebracht: „Wird auch Zeit, dass Sie endlich kommen! Ich steh hier schon seit ’ner geschlagenen Viertelstunde in der Einfahrt!“

Guten Tag!“, erwiderte mein Kollege freundlich. „Sind Sie an dem Verkehrsunfall beteiligt?“

Nein!“, rief der Alte. „Ich sagte doch, ich steh hier in meiner Einfahrt.“

Dann müssen Sie weg?“

Nein! Ich …“

Gut!“, sagte mein Kollege. „Aber sicherlich haben Sie sich schon ein bisschen um die Beteiligten gekümmert.“

Warum sollte ich? Denen geht’s doch gut!“, sagte der Alte.

Wie gut es „denen“ ging, war unschwer zu erkennen. Neben dem Trümmerhaufen, der einst ein Opel gewesen war, stand eine junge Frau mit blassem Gesicht und am ganzen Körper zitternd. Auch der Mann in dem VW wirkte ziemlich blass und ein wenig neben sich.

Ist doch bloß Blechschaden!“, rief der Alte.

Vorsorglich bestellte ich über das Handfunkgerät einen Rettungswagen. Dass die junge Dame unter Schock stand, war offensichtlich.

Währenddessen besah sich mein Kollege die verunfallten Fahrzeuge. Der Alte schlich immer um ihn herum. „Das müssen Sie noch alles fotografieren“, sagte er schließlich.

Hmm“, brummte mein Kollege und schob mit dem Fuß ein Blechteil ein Stück zur Seite.

He!“, rief der Alte sofort. „Ich meine, Sie müssen das erst abkreiden, bevor Sie die Lage verändern. Sonst verändern Sie doch das Spurenbild.“

Oh, wie unaufmerksam!“, sagte mein Kollege kopfschüttelnd. Dann zog er das Teil mit Fingerspitzen wieder an den alten Platz. „Sie haben natürlich Recht! Meinen Sie, dass das Blech vorher so gelegen hat?“

Der Alte nickte eifrig.

Gut!“, sagte mein Kollege. „Dann können wir ja weiter machen.“

So!“, wandte er sich dann an die Unfallbeteiligten. „Wer kann mir denn sagen, was hier passiert ist?“

Sie müssen vor der Polizei natürlich keine Angaben machen“, mischte sich der Alte ein. „Das kennen Sie doch aus dem Fernsehen.“

Es war meinem Kollegen anzusehen, dass sein Puls nunmehr ungeahnte Höhen erreichte. Dennoch blieb er nach außen hin ruhig und gelassen. „Also ich hab das hier von der Pike auf gelernt“, sagte er zu dem Alten. „Da sollte man doch meinen, dass ich meinen Job beherrsche.“

Genau!“, antwortete der. „Davon sollte man ausgehen können.“

Tja, aber irgendwie scheinen Sie es besser zu können als ich. Vielleicht sollten Sie diesen Unfall aufnehmen.“ Und damit drückte er dem Alten seine Mappe in die Hand. „Ich setze mich solange in den Streifenwagen und schaue Ihnen zu.“

Nun stand er da, hatte die Mappe in der Hand und konnte es wohl kaum fassen. Immer wieder wanderte sein Blick ungläubig von der Mappe zu meinem Kollegen im Streifenwagen und wieder zurück. Auch die beiden Unfallbeteiligten schauten verwundert, aber immerhin amüsiert auf die Szene.

Also entschloss ich mich, dem Ganzen noch einen drauf zu setzen. „Mach mal hinne!“, rief ich dem Alten zu. „Ich hab‘ gleich Feierabend!“

Das schien ihn wachzurütteln. Er eilte zum Streifenwagen, entschuldigte sich bei meinem Kollegen und sagte: „Ich glaub‘, es ist besser, wenn Sie Ihren Job machen. Ich werd‘ Sie auch in Ruhe lassen und einfach ins Haus gehen.“

Das dürfte wohl das Beste sein“, antwortete mein Kollege lachend, nahm seine Mappe wieder an sich und begann mit der Unfallaufnahme.

 

15 Antworten to “Wenn der Bürger schlauer ist …”

  1. labby-europa Says:

    ………….und das immer wieder, woche um woche, jahr um jahr, herr gib mir geduld und ironische worte im richtigen Augenblick……he,he,he

  2. Michael Says:

    „Das einzig dumme an der Sache war, dass wir gerade am anderen Ende des Revierbereichs unterwegs waren. Aber das konnte der Funksprecher natürlich nicht wissen, denn so teure Technik, stellt uns das Land wegen knapper Kassen nicht zur Verfügung.“
    Gebt ihr über Funk denn nicht euren aktuellen Status durch? Also hier beim Roten Kreuz Niederösterreich sendet man über das Funkgerät von „Zum Berufungsort“ über „Am Zielort“ bis hin zu „Frei auf Wache“ immer den Status. Dadurch alleine weiß die Leitstelle natürlich nicht die genaue Position, aber man kann es durch den Zeitpunkt ungefähr abschätzen. Mittlerweile haben wir aber sowieso GPS-Peilsender, die ganz ausgezeichnet funktionieren.

    Aufregen bringt bei solchen Sachen überhaupt nichts. Lächerlich machen – so wie in diesem Fall – braucht man die Leute aber auch nicht.


    • Über unsere Statusgeber wissen die Lagezentren zwar, dass wir einsatzbereit sind, aber nicht wo wir uns befinden. Da wir nebenbei auch das Revier bestreifen, ist es auch schwierig abzuschätzen, wo sich der Streifenwagen befinden könnte, es sei denn, der letzte Einsatz liegt nur wenige Minuten zurück.

      Und genau ein solches Vorführen ist in meinen Augen das beste Mittel, sich den Schlaumeier vom Hals zu schaffen.

  3. mgernhardt Says:

    Genial! Ihr seid klasse!!!!

  4. Peter Stenglein Says:

    Hahaa! Danke für den köstlichen Beitrag! Szenen, die das Leben schrieb! Ähnlich gelagerte Fälle habe ich dergleichen schon viel erlebt. Gut gelöst! Köstlich.

  5. Manuela Justmann Says:

    Einfach nur „wunderprächtig“! Auf so eine Idee wäre ich nicht gekommen..

  6. Nessa Says:

    Wirklich großartig, der Kollege! 😀
    Deswegen bemühe ich mich in meinem Comic, es besser zu machen – damit die Leute das gar nicht erst falsch lernen.


  7. Sieht sehr gut aus. Ich bin zwar kein Schleswig-Holsteiner, aber wenn du Fragen hast, dann schreib einfach mal.


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