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Der Bürger und das liebe Vieh

Juni 21, 2018

Der Mensch ist ein recht gleichgültiges Wesen. Zumindest was seine Mitmenschen angeht. Wenn der Nachbar nicht stört, ist er seiner Umgebung egal. Da kann er auch seine Frau verhauen – solange sie nicht allzu heftig schreit und man keine Nachtruhe bekommt. Und wenn Opa aus dem dritten Stock verstirbt, ist es allenfalls eine Randnotiz im Leben, es sei denn es fängt an, im Hausflur zu riechen.

Anders hingegen ist es bei Tieren. Da hört der Spaß auf! Der Klassiker bei diesen Geschichten ist natürlich der Hund im Auto. Dabei ist es egal, ob die Sonne scheint, es regnet, es heiß oder kalt ist. Ein Mensch, der seinen Hund im Auto lässt, ist immer Abschaum, ein Tierquäler, dem man am besten die Karre abfackelt – wenn da nicht der Hund drin säße.

Auch das Kälte gewohnte Shetland-Pony, dass im Winter artgerecht auf einer Weide gehalten wird, ist für den Normalbürger eine Schande, ein Fall für das Veterinäramt und die Polizei.

Ebenso klassisch ist die zugelaufene Katze, bei der man sich dann nach 2 Wochen entschließt, endlich mal den Notruf zu betätigen.

Ich hab hier eine streunende Katze aufgegriffen.“

Aha! Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun.“

Das weiß ich jetzt auch nicht.“

Ist das Tier denn verwahrlost?“

Nein, die sieht eigentlich ganz gepflegt aus. Die maunzt nur morgens immer so herzergreifend. Da hab ich ihr einfach mal Futter hingestellt.“

Also geben sie dem Tier seit 14 Tagen was zu fressen?“

Natürlich. Die kommt doch jeden Morgen. Was soll ich denn machen?

Hören Sie einfach auf Nachbars Katze zu füttern. In drei Tagen hat sich die Sache erledigt. Dann frisst sie wieder zu Hause.“

Am schönsten ist es jedoch mit dem von jeglicher Kenntnis über die Natur befreiten Stadtmenschen. Einen solchen hatte ich letzte Woche am Telefon.

Guten Tag, ich bin hier am Maschsee. Und hier sitzt eine Ente.“

Ach was!

Der geht es gar nicht gut. Die jappst so nach Luft.“

Okay! Aber was soll die Polizei jetzt machen?“

Wissen Sie, da war noch eine andere Ente, die hat das arme Tier immer unter Wasser gedrückt!“

Also soll ich jetzt einen Streifenwagen schicken, um das rüpelige Tier zu verhaften?

Die Ente, die so nach Luft jappst, hat die ein braunes Gefieder?“, fragte ich.

Ja, hat sie! Kennen Sie das Tier?“

Na, klar! Ich gehe jeden Tag zum Maschsee und begrüße die Enten mit Vornamen.

Nein, natürlich nicht. Wie sah denn die andere Ente aus.“

Äh, die war mehr so grau, mit grünem Kopf.“

Jo“, sagte ich. „Dann ist der Fall ja klar!“

Schicken Sie jetzt jemanden, um dem Tier zu helfen.“

Nein!“

Äh, aber warum denn nicht?“

Gegenfrage: Braucht Ihre Frau Hilfe, wenn Sie beide im Bett … also wenn es da mal richtig zur Sache geht?“

Also das ist doch …“ echauffierte sich der Anrufer. „Was geht Sie das an? Was soll überhaupt die Frage?“

Es ist Frühling!“, sagte ich.

Ja, und? Was soll das denn jetzt, auch wenn es Frühling ist, können Sie doch nicht einfach…“

Klick! Man konnte den fallenden Groschen durch die Leitung hören.

Äh … Sie meinen, dass …“

Genau! Die beiden hatten ihren Spaß und in ein paar Wochen schwimmen kleine Küken auf dem See.“

Ach so, na dann. Also ich meine … Entschuldigen Sie bitte den Anruf. Das wusste ich nicht.“

Eben! Deshalb gab es auch den kostenlosen Biologie-Unterricht für Stadtmenschen am Notruf.